Von Zaubertricks, Leichtsinn und Besserwisserei: Meine Arbeit als Tierpsychologin
Meine Katze pinkelt überall hin. Haben Sie Tipps für mich?
Nö, Nö, der is gesund!
Oh Gott, das ist aber viel Arbeit! Ich dachte, das wäre einfacher!
Solche und ähnliche Aussagen kommen leider sehr häufig in meinem Beratungsalltag vor. Selbst in ihrer Knappheit zeigen sie ein ganz grundlegendes Problem: Nämlich die enorme Unterschätzung der tierischen Bedürfnisse und die Überforderung der Halter an eine tier- und artgerechte Haltung.
Hat sich ein Problem erstmal in den Alltag eingeschlichen und wird zunehmend eine Belastung für die Halter, suchen viele Tierbesitzer Hilfe – häufig erst im Internet oder bei Tierschutzvereinen und Bekannten. Die leider oft unzureichenden oder sogar falschen Informationen dazu lösen das bestehende Problem aber nicht oder verschlimmern es sogar, da keine genaue Analyse stattfindet und viele Lösungsansätze schlichtweg Blödsinn sind. Ein letzter Ausweg scheint da der Tierpsychologe. Zwar gibt es diesen Beruf noch nicht allzu lange, aber durch bekannte TV-Formate und mittlerweile auch durch Social Media ist dieses Berufsbild mehr in den Focus von Tierbesitzern gerückt – zum Glück!
Heute möchte ich einmal aus meinem Berufsalltag erzählen: Als gelernte Tierpsychologin arbeite ich selbstständig im Großraum Dresden. Wenn es mir von der Entfernung her möglich ist, komme ich immer zum Hausbesuch, da ich Halter und Tiere so am besten kennenlernen kann und mir ein genaueres Bild von Verhalten, Lebensraum und Umgang machen kann. Bei Kunden außerhalb Dresdens nutze ich Video-Calls. Zunächst wird die Vorgeschichte (Anamnese) aller im Haushalt lebenden Tiere erhoben. In den meisten Fällen kommen wir dann auch ganz schnell zur gesundheitlichen Thematik, da diese bei Verhaltensauffälligkeiten häufig eine entscheidende Rolle spielt. Dieses Thema ist sehr oft ein kritischer Punkt, da die Halter sich bisher viel zu wenig mit der Gesundheit ihrer Tiere beschäftigt haben und oftmals der Meinung sind, dass das jährliche Abtasten durch den Tierarzt schon ausreicht. Wenn ich dann bei meiner Befragung bestimmte Auffälligkeiten bemerke, wie z.B. dem Klassiker "entzündetes Zahnfleisch", "kahle Stellen" oder "Zurückgezogenheit", weise ich die Halter schon an dieser Stelle auf wichtige Maßnahmen hin: Nämlich dem dringenden Besuch bei einem kundigen Tierarzt mit weiterführender (z.B. bildgebender) Diagnostik. Bereits an dieser Stelle sind viele Halter schon mal perplex, was da auf sie zukommt. Doch damit ist die Analyse noch längst nicht abgeschlossen, denn jetzt geht es zum eigentlichen Verhalten: seit wann zeigt sich welches Verhalten? Hier frage ich sehr viel und sehr detailliert nach, um so viele Informationen wie möglich zu erhalten. All diese Themenkomplexe fließen in einander und ergeben ein gesamtheitliches Bild des bestehenden Problems. In den seltensten Fällen reichen kleine Veränderung im Lebensumfeld, um das Problem zu beheben, wie z.B. einem besseren Toilettenmanagement. Auch gezielte Übungen, wie z.B. das Clicker-Training, sind kein Allheilmittel. Häufig zeigt sich mir ein sehr viel komplexeres Bild: von unerkannten Erkrankungen über Angstzustände durch unzureichende Sozialisierung oder sogar Mobbing bis hin zu Überforderung durch veränderte Lebensumstände, zu wenig tiergerechte Beschäftigung, ungeeignete Möbel und unzureichende Rückzugsmöglichkeiten, falsche Fütterung, falsche (tierische) Partnerwahl oder Einsamkeit können Verhaltensauffälligkeiten entstehen. Häufig finde ich mehrere solcher "Baustellen" vor. Die meisten Probleme sind zwar (bis zu einem gewissen Grad) therapierbar, doch dies bedeutet viel Zeit und viel Aufwand!
Und da kommen wir zum eigentlichen Kern des Beitrages: Der Erwartungshaltung der Besitzer an den Tierpsychologen und die Problemlösung. Viele Tierhalter berichten mir dann, dass sie z.B. von Bekannten und Freunden die und die Tipps bekommen hätten oder im Internet das und das gelesen hätten. Kurz und knackig – und so meinen sie, dass auch von einem Tierpsychologen kurze und knackige Lösungsvorschläge kommen, die mal eben nebenbei umgesetzt werden können. Als ob ein Tierpsychologe nur einen Schalter umzulegen brauch und schon "funktioniert" das Tier wieder. Doch weit gefehlt! Die Lösungsstrategien bei tierischen Verhaltensproblemen können außerordentlich umfangreich und je nach Schwere auch sehr komplex sein – schon allein deshalb, weil Tiere nicht in Menschensprache kommunizieren. Aufgabe des Tierpsychologen ist es deshalb in erster Linie, das Problem der betroffenen Tiere sicher zu analysieren, korrekt zu interpretieren und den Haltern verständlich zu erklären. Denn die meisten Halter verstehen ihre Tiere einfach nicht und interpretieren ihr Verhalten oftmals falsch. Da Tiere (je nach Tierart) über eine sehr komplexe Kommunikation durch Körpersprache, Mimik, Gestik und Gerüche verfügen, ist es umso schwieriger, diese Sprache auch richtig zu verstehen. Wenn dann bei einem bestehenden Problem mehrere "Baustellen" von einem Tierpsychologen erkannt werden, ist es sinnvoll, dass mehrere Maßnahmen umgesetzt werden. Denn ganz besonders das Lebensumfeld spielt eine enorm wichtige Rolle für das Wohlbefinden des Tieres und damit auch bei der Lösung eines bestimmten Verhaltensproblems. Wenn es dann beispielsweise bei Katzen zu Streit und sogar Kämpfen kommt, sind die notwendigen Maßnahmen noch umfangreicher, da die Katzen zunächst von einander getrennt werden müssen. Dabei können sich manche Verhaltenstherapien tatsächlich über mehrere Monate bis hin zu über einem Jahr hinziehen! Das klingt heftig, stimmt´s? Und genau das sind die Momente, in denen oben genannte Zitate ausgesprochen werden.
Doch sind wir mal ehrlich: Wenn ein Mensch an einer Erkrankung leidet, die auch seine Psyche in Mitleidenschaft zieht, so gibt es auch hier keinen "Schalter", den man einfach umlegt - auch bei uns Menschen werden längere Therapien angesetzt. Dabei bestehen diese Therapien sehr oft aus mehreren zusammengesetzten Maßnahmen, um ein bestehendes Problem richtig zu behandeln und langfristig Erfolg zu erzielen. Dies sollten wir auch bei unseren Haustieren beherzigen und ihnen die notwendige Aufmerksamkeit für ihr Wohl zukommen lassen. Doch als Tierpsychologe kann ich weder zaubern noch effiziente kurze Tipps geben bei einem schweren Verhaltensproblem. Auch meine Empfehlungen für tierärztliche Untersuchungen und meine Hinweise für bestimmte Erkrankungen bei (äußeren) Auffälligkeiten werden nicht immer ernst genommen. Und so passiert es nicht selten, dass ich bei Kontrollbesuchen oder -gesprächen feststellen muss, dass wichtige Maßnahmen nicht umgesetzt wurden, weil die Besitzer meinten, dass es wohl doch nicht so wichtig wäre. Dabei sind die von mir empfohlenen Maßnahmen sinnvoll, da sie systematisch auf einander aufbauen und so den Behandlungserfolg sichern sollen. Solche Momente empfinde ich auch als frustrierend, denn das Verhalten der Besitzer zeigt mir, dass sie versuchen, den "einfacheren" Weg zu gehen. Im schlimmsten Fall führt ihr Verhalten zu einer Verschlechterung des bestehenden Problems und das immer zum Leidwesen der Tiere.
Doch ich bin absolut dankbar und außerordentlich froh über jeden Tierhalter, der sich über seine Haustiere fachlich gut informiert und jede Hilfe nutzt, damit es seinen Lieblingen (wieder) gut geht! Jede positive Rückmeldung meiner Kunden zur gelungenen Lösung eines Problems macht mich sehr glücklich! Denn neben ihrem ehrlichen Engagement für ihre Tiere zeigen mir diese Halter auch Respekt und Anerkennung für meine Arbeit.
Übrigens: Der Beruf des Tierpsychologen basiert auf den jahrelangen Forschungen und Erfahrungen von Verhaltensforschern und Zoologen und wird bisher nur als Fernstudium angeboten. Ich kann nur hoffen, dass dieser wichtige Berufszweig auch bald an öffentlichen Fakultäten gelehrt wird, damit er weiter wachsen kann und so mehr Haustieren und ihren Haltern geholfen werden kann.